Dienstag, 9. September 2008

DEUTSCH LERNEN Teil_1

ein winziges, unglaublich aggressives, echsenartiges ding verfolgt mich durch das haus meiner eltern, schnappt nach mir, erwischt mich, reißt fleisch von meinem körper, ist überall gleichzeitig. ich wehre mich so gut ich kann, schlage um mich, renne weiter, das ding immer dicht an mir dran, treppe rauf, treppe runter - scheiße, wohin? - treppe wieder hoch und plötzlich schießt es mir durch den kopf: heimvorteil, denke ich, du hast doch heimvorteil und in dem moment reißt mir das ding die linke kniescheibe raus, kreischt hysterisch. komisch, denke ich, auf einmal macht das ding geräusche, denke ich, aber das bin wohl ich, der da hysterisch kreischt, denke ich und schaffe es die nächste tür hinter mir zu zuschlagen, wobei der angreifer im sprung innen an der türklinke hängen bleibt. ich sehe ihn durch die tür hindurch im schlafzimmer meiner eltern umher taumeln, lautlos, mit einem heraushängenden auge und...

Das Telefon klingelt - zweimal - dreimal - dann meine Ansage vom Band und während ich noch im Halbschlaf meinen Körper auf Bißwunden untersuche, höre ich Marc's Stimme blechern durch den Raum schweben.

- Hi Alex, hier ist Marc. Paß mal auf Schatzi... also, ich... (sekundenlange Rumwuselgeräusche, der Hörer wird abgelegt, Marc entfernt sich, murmelt vor sich hin - eine halbe Minute Stille - er niest drei Mal hintereinander, danach eine kurze Pause, dann ein lauter Rülpser)... oh man, bin ich blöd oder was!?... (er nähert sich wieder dem Telefonhörer)... wo ist denn der Scheiß?! (und da ist er auch schon wieder)... also, ich hab heute um... ähm... sechzehn Uhr so'n Fototermin für... ach fuck, ist jetzt auch egal. Du hast doch dieses große Russ Mayer Plakat mit der Frau in Leder, die so böse guckt und das wäre toll, so als Hintergrund und ich hab eh keinen Bock mich bei mir zu Hause fotografieren zu lassen... also rufst du mal zurück Alter... wo bistn du eigentlich!!? Pennst doch sonst immer bis zwölf, tschau!

Marc ist Rockstar. Also nicht so richtig aber schon ein bißchen. Unter dem Pseudonym 'Patsy Hearst' und dem Einfluß diverser bewußtseinserweiternder Drogen stolziert er - gestyled wie die abgefuckte Tochter von Liberace und Bootsy Collins - am Rand kleiner Bühnen auf und ab, während hinter ihm eine vierköpfige Gang fast nackter Szenegestalten auf ihren Instrumenten ackert. Wild um sich gestikulierend, kreischt Marc 'Patsy Hearst' Brettschneider Textfetzen, die er aus alten John Waters Filmen geklaut hat, über die psychedelischen Lärmschleifen. Am Besten finde ich, daß Marc eine Gitarre umhängen hat, auf der er während des ganzen Konzerts zwar keinen Ton spielt, die aber trotzdem über einen riesigen, voll aufgedrehten Verstärker einen permanenten waffenscheinpflichtigen Pfeifton absondert. Es ist wirklich unerträglich. Die Band heißt PITBULL DIANETIK und vereinzelte Musikvisionäre behaupten standhaft, sie seien "Das neue Ding in spe". Anfang des Jahres sind sie mit ihrer ersten Single 'Celebrity Burnout' sogar in irgendwelchen Independentcharts gelandet, aber nachdem alle Hardcorefans das Teil gekauft hatten, auch genau so schnell wieder rausgeflogen. Marc, die manische Depression in einer Art Menschengestalt, dachte bei Charteinstieg er würde jetzt Millionär, nur um sich wenige Tage später (bei Chartausstieg) in einer monatelangen Selbstmitleidsdepression zu suhlen, die er allerdings (je nach Tagesform) immer wieder gerne unterbrach, um sein musikalisches sowie geschäftliches Umfeld als "Debile Nichtskönner mit null Ahnung!" zu bezeichnen und allen (schuldig oder nicht) bis weit über die jeweiligen Schmerzgrenzen auf den Sack zu gehen. Es war schrecklich für alle Beteiligten, jetzt aber Schnee von gestern, denn PITBULL DIANETIK waren mit dem psychisch labilen Ex-Bassisten von KAJAGOOGOO (den Marc vor Beginn des Produktionsprozesses immer nur mit religiös verzücktem Gesichtsausdruck "Die Legende" nannte) in dessen abgeranztem Hausbootstudio in Amsterdam. Tagsüber haben alle Magic Mushrooms gefressen und gruppendynamisch von Deck aus die Wasseroberfläche beobachtet, um dann Nachts vollgepumpt mit psychedelischer Weltanschauung ihre Instrumente zu vergewaltigen, während "Die Legende" nebenan in einer mäßig schallisolierten Kabine auf einer Metadonwolke hinter seinem selbst gebauten Mischpult schwebend mit einer Art elektronischem Didgeridoo improvisierte und das Gejammer gleichzeitig mit den kakophonischen Terrornoiseorgien der Band aufzeichnete. Marc kam (wie immer völlig verstrahlt) erst am letzten Tag der Aufnahmen dazu, weil er, nachdem er sich gleich am Amsterdammer Busbahnhof mit billigem polnischen Liquid Extasy die wenigen noch vorhandenen Synapsen frittiert hatte, tagelang im Schlepptau eines belgischen Transvestiten durch die Stadt geirrt war. Es gab dann sofort einen sehr häßlichen und lautstarken Eklat über die sechs Didgeridoo-Spuren, die sich, deutlich in den Vordergrund gemischt, auf jeder Aufnahme befanden und sich dummerweise wegen eines angeblich technischen Problems, an dem keiner Schuld haben wollte, nicht mehr von dem übrigen Pittbull-Krach trennen ließen.

Der vom Nachdenken darüber, daß er ohne einen baldigen Radiohit den Betrieb seines kleinen visionären Plattenlabels würde einstellen müssen, äußerst angespannte Finanzier der ganzen Chaosaktion kam am nächsten Tag angereist, hörte sich völlig versteinert zweimal hintereinander die Aufnahmen an (Marc hatte in der vergangenen Nacht noch, völlig außer sich vor historisch relevantem Zorn, seine Gaga-Texte auf das Band gekeift) und dann stritten sich alle Beteiligten noch einmal, wobei das Kapital (in Person dessen, der die Produktionsmittel bezahlt hatte) sich mit Hilfe seiner Handlanger (in Person des legendären Bassisten der Band Kajagoogoo und der restlichen Band, die ihre einstimmige Pro-Didgeridoo-Entscheidung nach Abklingen der Magic Mushrooms aufs Äußerste bereute) wieder einmal gegen die Werktätigen (in Person von Marc'Patsy Hearst' Brettschneider) durchsetzen konnte und so wurde gegen Marc entschieden, der verzweifelt didgeridoofreie Neuaufnahmen gefordert hatte. Es war vergeblich. Die Allianz des Kapitals und seiner verwirrten Erfüllungsgehilfen hatte gewonnen. Die dunkle Seite der Macht (das Kapital in Form des Eigners der Produktionsmittel) verkündete das sofortige Einfrieren derselben und beschloss, das Schicksal (in Form des freien Marktes) über das jetzt extremst polarisierende Produkt (in Form eines progressiven Konzeptalbums) entscheiden zu lassen. Vielleicht würde ja ein Wunder geschehen...
Nun kommt also bald die neue Platte und der um seine künstlerische Kontrolle betrogene Werktätige wird ja offensichtlich auch schon wieder fotografiert. Von wem auch immer.

FORTSETZUNG FOLGT..

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